Wenn Hörbücher überraschen: Warum "Wir sehen uns wieder am Meer" meine Erwartungen gesprengt hat

Kennt ihr das? Ihr scrollt durch euer Hörbuch-Abo, seht wieder mal einen Zweiten-Weltkrieg-Roman und denkt: "Ach, nicht schon wieder." Genau so ging es mir mit Trude Teiges "Wir sehen uns wieder am Meer". Spoiler: Ich lag komplett falsch.

Warum ich fast an diesem Buch vorbeigelaufen wäre

Als jemand, der beruflich viel mit Literatur zu tun hat, entwickelt man manchmal eine gewisse Müdigkeit gegenüber bestimmten Themen. Kriegsromane gibt es wie Sand am Meer, und viele erzählen die immer gleichen Geschichten mit den immer gleichen moralischen Gewissheiten. Bei Teiges Roman dachte ich: "Okay, drei Frauen, Widerstand, Freundschaft – kenn ich schon."

Wie falsch ich lag.

Ein Hörbuch, das unter die Haut geht

Ich muss gestehen, dass ich zunächst skeptisch war. Noch ein Roman über den Zweiten Weltkrieg? Aber "Wir sehen uns wieder am Meer" von Trude Teige hat mich eines Besseren belehrt und emotional völlig überrumpelt.

Was mich sofort gepackt hat, ist die Art, wie die norwegische Autorin ihre drei Protagonistinnen zeichnet. Birgit, die junge Krankenschwester, wird zum Herzstück einer Geschichte, die mich immer wieder zwischen Wut und Verzweiflung schwanken ließ. Ihre Zerrissenheit zwischen der Loyalität zu ihrem besetzten Land und einer Liebe, die alle gesellschaftlichen Normen sprengt, ist so authentisch eingefangen, dass ich mehrmals das Hörbuch pausieren musste.

Besonders beeindruckt hat mich, wie geschickt Teige sensible Themen wie Kollaboration, Zwangsarbeit und die Grauzonen menschlicher Entscheidungen angeht. Statt mit dem moralischen Zeigefinger zu wedeln, zeigt sie die Komplexität von Situationen auf, in denen es keine einfachen Antworten gibt. Das "Deutschenmädchen" ist ein brillantes Beispiel dafür. Sie ist eine Figur, die alle meine Vorurteile auf den Kopf gestellt hat.

Die Sprecherin verdient eine besondere Erwähnung. Ihre Stimme passt perfekt zu Birgits Charakter und schafft es, die emotionale Achterbahnfahrt dieser Geschichte zu transportieren, ohne jemals ins Pathetische abzurutschen. Bei den Dialogen zwischen den drei Freundinnen am Ende der Geschichte hatte ich das Gefühl, heimlich bei tiefgreifenden Gesprächen teilhaben zu dürfen.

Was mich als Literaturmensch besonders fasziniert: Die Art, wie Traumata und Geheimnisse über Generationen weiterwirken, ist psychologisch stimmig und erzählerisch elegant gelöst.

Mein einziger Kritikpunkt: Manchmal hätte ich mir gewünscht, dass Teige noch tiefer in die ukrainische Perspektive von Nadia eingetaucht wäre. Aber vielleicht ist genau diese Zurückhaltung ein Zeichen von Respekt.

Ein Hörbuch, das lange nachhallt und zeigt, dass Kriegsliteratur noch immer relevante, neue Töne finden kann.

Was dieses Buch anders macht

Als Content Creator beschäftige ich mich ständig mit der Frage: Was macht eine Geschichte einzigartig? Bei Teige ist es die Weigerung, einfache Antworten zu geben. Ihre Figuren sind keine Heldinnen oder Schurkinnen – sie sind Menschen, die in unmöglichen Situationen unmögliche Entscheidungen treffen müssen.

Das "Deutschenmädchen" Tekla ist dafür das beste Beispiel. Ohne zu spoilern: Diese Figur hat mich dazu gebracht, meine eigenen Annahmen über Gut und Böse zu hinterfragen. Und das ist verdammt gute Literatur.

Ein persönliches Fazit

Manchmal braucht man Bücher, die einen überraschen. "Wir sehen uns wieder am Meer" hat das geschafft, obwohl – oder gerade weil – ich es nicht erwartet hatte. Es zeigt, dass auch vermeintlich "überstrapazierte" Themen noch frische Perspektiven bieten können, wenn sie in die richtigen Hände geraten.

Falls ihr, wie ich, manchmal müde werdet von immer gleichen Geschichten: Gebt diesem Hörbuch eine Chance. Es könnte euch genauso überraschen wie mich.

Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Welches Buch hat zuletzt eure Erwartungen gesprengt? Schreibt es gerne in die Kommentare.

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