Wenn schöne Prosa nicht reicht: Was uns Cecelia Aherns neuer Roman über das Handwerk des Erzählens lehrt
Oder: Warum selbst etablierte Autorinnen manchmal an ihren eigenen Stärken scheitern*
Cecelia Ahern ist eine Meisterin ihres Fachs. Seit "P.S. Ich liebe Dich" verzaubert sie Millionen von Lesern mit ihrer poetischen, warmen Sprosa und ihrer Fähigkeit, aus alltäglichen Momenten große Gefühle zu destillieren. Umso überraschender ist es, wenn eine Autorin ihres Kalibers einen Roman vorlegt, der trotz all seiner sprachlichen Eleganz nicht funktioniert. "Den Sturm zu überleben ist nur der Anfang" ist genau so ein Fall – und als Lektorin finde ich ihn faszinierend.
Das Dilemma der etablierten Autorin
Wer erfolgreich ist, wird seltener hinterfragt. Das ist ein Luxus, aber auch eine Falle. Aherns neuer Roman liest sich, als hätte sie sich zu sehr auf ihre bewährten Stärken verlassen: die atmosphärischen Beschreibungen, die melancholische Grundstimmung, die Metaphorik von Natur und Seelenzustand. All das ist da, perfekt ausgefeilt wie immer. Aber eine Geschichte braucht mehr als schöne Sätze.
Das Grundgerüst klingt vielversprechend: Ärztin Enya erlebt ein Trauma, flieht aufs irische Land, sucht Heilung unter einem uralten Baum. Klingt nach klassischer Ahern-Magie, oder? Das Problem liegt nicht in der Idee, sondern in der Umsetzung.
Wo der Roman ins Straucheln gerät
Die Protagonistin bleibt ein Phantom
Enya soll eine komplexe, von inneren Dämonen geplagte Frau sein. Aber Ahern erzählt uns das nur, statt es zu zeigen. Wir erfahren, dass Enya schon lange kämpft, aber nicht womit genau. Ihre Reaktion auf den Unfall wirkt überzogen, weil die Vorgeschichte zu vage bleibt. Als Leserin konnte ich keine Verbindung zu ihr aufbauen – ein Todesstoß für jeden Roman.
Strukturelle Schwächen
Nach dem dramatischen Auftakt passiert im Mittelteil erschreckend wenig. Enya wandelt zwischen Cottage und Baum hin und her, grübelt, erinnert sich, grübelt noch mehr. Das mag therapeutisch sinnvoll sein, ist aber erzählerisch zäh. Dann wird plötzlich alles hastig zusammengerafft, als hätte die Autorin bemerkt, dass sie noch ein Ende braucht.
Der Logikfehler
Eine Ärztin, die täglich mit Leben und Tod konfrontiert ist, bricht ausgerechnet bei diesem einen Fall zusammen? Die Begründung bleibt schwammig, die psychologische Glaubwürdigkeit leidet.
Was wir daraus lernen können
Dieser Roman ist ein Lehrbeispiel dafür, dass Talent allein nicht reicht. Selbst die begabtesten Autor*innen brauchen manchmal einen kritischen Blick von außen – einen Lektor, der sagt: "Das funktioniert so nicht."
Für Autor*innen: Verlasst euch nicht nur auf eure Stärken. Jede Geschichte braucht ein solides Fundament – glaubwürdige Charaktere, nachvollziehbare Motivation, eine stimmige Struktur.
Für Lektor*innen: Auch etablierte Autor*innen brauchen ehrliches Feedback. Manchmal ist es wichtiger, unbequeme Wahrheiten auszusprechen, als höflich zu sein.
Für Leser*innen: Schöne Sprache kann viel kaschieren, aber nicht alles. Hört auf euer Bauchgefühl – wenn eine Geschichte nicht funktioniert, liegt es meist nicht an euch.
Trotzdem: Respekt vor dem Versuch
Ich will nicht zu hart mit Ahern ins Gericht gehen. Sie hat versucht, tiefer zu gehen, ernstere Themen anzufassen als in manchen ihrer früheren Werke. Das Scheitern gehört zum kreativen Prozess dazu. Manchmal muss man einen Roman schreiben, damit der nächste besser wird.
Fazit: "Den Sturm zu überleben ist nur der Anfang" zeigt, dass selbst Meisterinnen ihres Fachs straucheln können. Das macht sie menschlicher – und ihre nächsten Bücher hoffentlich wieder stärker.
Habt ihr das Buch gelesen? Wie seht ihr das? Ich bin gespannt auf eure Meinung in den Kommentaren!
Rating: ⭐⭐ (2/5 Sterne)