Wenn Romance-Tropen auf echte Probleme treffen: Meine Gedanken zu "Ice, Ice, Daisy"
Oder: Warum ich langsam müde werde von Fake-Dating, aber trotzdem weiterlese
Letzte Woche saß ich mit "Ice, Ice, Daisy" von Anny Thorn auf meiner Couch und dachte: Nicht schon wieder Fake-Dating. Nicht schon wieder Enemies to Lovers. Nicht schon wieder ein Eishockey-Roman. Und trotzdem habe ich das Buch in zwei Abenden durchgelesen. Was sagt das über mich? Oder über das Genre? Vermutlich beides.
Das Tropen-Dilemma
Romance lebt von Mustern. Wir alle kennen sie, wir alle lieben sie, und gleichzeitig rollen wir mit den Augen, wenn wieder mal ein Fake-Dating-Plot aus dem Hut gezaubert wird. Bei "Ice, Ice, Daisy" haben wir das volle Programm: Die Eiskunstläuferin Madison und der Eishockey-Star Deacon streiten sich öffentlich (natürlich im Livestream, weil 2025), lösen einen Social-Media-Shitstorm aus (natürlich) und müssen dann vier Monate lang ein verliebtes Paar vorspielen (selbstverständlich).
Spoiler: Sie verlieben sich dabei. Überraschung? Null.
Aber hier kommt der Twist: Mir war das diesmal egal.
Warum ich trotzdem drangeblieben bin
Anny Thorn macht etwas, das viele Romance-Autorinnen nur halbherzig versuchen: Sie nimmt ihre Charaktere ernst. Madison hat eine Panikstörung, ausgelöst durch einen traumatischen Sturz auf dem Eis. Deacon kommt aus einer Familie mit häuslicher Gewalt. Und das sind keine edgy Backstory-Schnipsel, die mal kurz erwähnt und dann vergessen werden. Das zieht sich durch.
Als Lektor bin ich da immer skeptisch. Traumata in Romance? Das kann schnell nach hinten losgehen. Entweder wird es zum Fetisch ("Oh, er ist so broken und ich kann ihn retten") oder es wird so oberflächlich behandelt, dass es respektlos wird. Thorn schafft es größtenteils, die Mitte zu halten. Madisons Panikattacken sind nicht sexy. Deacons Trigger sind nicht romantisch. Sie sind kompliziert und nervig und stehen der Beziehung im Weg – so wie echte Traumata eben.
Sport-Romance: Mehr als nur heiße Typen in Trikots
Was mir gefallen hat: Endlich mal nicht nur Eishockey. Madison ist Eiskunstläuferin, und das ist nicht nur Set-Dressing. Die beiden Sportarten stehen für zwei völlig unterschiedliche Lebensphilosophien. Deacon ist direkt, körperlich, kämpferisch. Madison ist präzise, ästhetisch, kontrolliert. Das hätte die Autorin noch mehr ausreizen können – sprachlich, metaphorisch. Da war Potenzial, das liegen geblieben ist.
Und genau da wird es für mich als Content Creator interessant: Wo ist die Grenze zwischen "funktioniert für die Zielgruppe" und "könnte literarisch mehr sein"? Romance muss nicht Kafka sein. Aber darf sie literarisch ambitioniert sein, ohne ihre Leserschaft zu verlieren?
Die Vorhersehbarkeits-Frage
Seien wir ehrlich: Ich wusste ab Seite 50, wie das Buch endet. Fake-Dating führt zu echten Gefühlen, Geheimnisse kommen raus, es gibt einen Moment der Trennung, dann das Happy End. Das ist Romance-DNA.
Aber ist das schlimm?
Ich schwanke zwischen zwei Antworten. Als Lektor denke ich: Ja, verdammt, überrasch mich mal! Als Leserin denke ich: Manchmal will ich genau wissen, was kommt. Manchmal ist Vorhersehbarkeit Komfort.
"Ice, Ice, Daisy" bedient die Tropen pflichtbewusst. Manchmal zu pflichtbewusst. Die Geschichte fühlt sich an wie eine Checkliste: Grumpy x Sunshine? Check. Only One Bed? Check. Found Family? Check. Spicy Scenes? Check. Es funktioniert, aber es wagt nichts.
Mental Health in Romance: Ein zweischneidiges Schwert
Hier wird es heikel. Romance mit Mental-Health-Themen boomt gerade. Panikattacken, Depression, Trauma – alles ist plötzlich Romance-Material. Das kann gut sein. Das kann aber auch extrem problematisch werden.
Thorn macht es solide. Die Trigger-Warnungen sind berechtigt (häusliche Gewalt, toxische Beziehungen, Panikattacken). Die Szenen sind nicht glorifiziert. Aber – und das ist mein kritischer Punkt – am Ende heilt die Liebe doch sehr viel sehr schnell. Nach vier Monaten Fake-Dating sind beide magisch bereit für eine echte Beziehung? Trauma-Therapie funktioniert nicht so.
Das ist das Romance-Genre-Problem: Happy End ist Pflicht. Aber wie schreibt man ein Happy End für Charaktere mit ernsthaften psychischen Problemen, ohne zu suggerieren, dass Liebe die Lösung ist?
Mein Fazit: Gut, nicht großartig
"Ice, Ice, Daisy" ist ein solider Romance-Roman mit Herz. Er macht vieles richtig: Authentische Mental-Health-Darstellung, zwei Sportarten statt einer, duale Perspektive, echte emotionale Tiefe. Aber er spielt auch zu safe. Sprachlich, strukturell, erzählerisch.
Für Romance-Fans, die mehr wollen als Fluff, aber nicht in Literary Fiction abdriften möchten: Perfekt. Für Leser, die nach dem nächsten Level suchen: Nicht ganz da.
Meine Wertung: 3,5 von 5 Sternen
Die halbe Stern-Abzug ist nicht für das, was das Buch falsch macht. Sondern für das, was es hätte sein können.
Was denkt ihr? Ist Vorhersehbarkeit in Romance ein Bug oder ein Feature? Und wo zieht ihr die Grenze bei Mental-Health-Themen in Liebesromanen? Schreibt's in die Kommentare – ich bin gespannt auf eure Meinungen.