König Midas mal anders: "The Darkest Gold" und warum Mythologie-Adaptionen so verdammt schwer sind

Eine ehrliche Rezension - und warum wir über Erwartungen an Fantasy-Literatur reden müssen

Ihr kennt das: Da stolpert man über einen Buchtitel, der Mythologie verspricht, und sofort rattert das Gehirn los. König Midas? Den kenn ich doch! Aber dann kommt die große Frage: Kann eine jahrhundertealte Geschichte heute noch funktionieren, ohne dabei in die typischen Fantasy-Fallen zu tappen?

Raven Kennedys "The Darkest Gold" wagt genau diesen Spagat. Und ich bin ehrlich: Das Ergebnis ist komplizierter, als ich erwartet hatte.

Die Prämisse: Genial einfach, einfach genial

Kennedy macht etwas Cleveres: Sie erzählt die Midas-Geschichte nicht aus der Sicht des Königs, sondern aus der Perspektive seiner goldenen Gefangenen Aureen. Das klingt erstmal simpel, ist aber erzähltechnisch ziemlich raffiniert.

Aureen ist nämlich keine typische Fantasy-Heldin, die gegen ihre Ketten kämpft und heroische Reden schwingt. Stattdessen rechtfertigt sie ihre Situation, klammert sich an vergangene Versprechen und redet sich ihre Gefangenschaft schön. Das ist psychologisch deutlich interessanter als der Standard-"Ich-werde-frei-sein"-Plot.

Kennedy traut sich an unbequeme Themen: emotionale Abhängigkeit, Stockholm-Syndrom, die Illusion von Schutz. Das wird nicht wegromantisiert oder beschönigt, sondern ziemlich schonungslos dargestellt. Für eine Fantasy-Romance ist das mutig.

Wo es knirscht: Das leidige Worldbuilding-Problem

Hier wird's kritisch. Kennedy hat eine fantastische Grundidee, aber die Welt drumherum bleibt frustrierend dünn. Wir bekommen ein goldenes Schloss, einen mächtigen König, ein paar politische Andeutungen - aber das war's auch schon.

Als Lektor frage ich mich: Wie funktioniert diese Gesellschaft? Woher kommt die Magie? Gibt es andere Königreiche mit ähnlichen Fähigkeiten? Kennedy deutet viel an, erklärt aber wenig. Das ist schade, denn gerade bei Mythologie-Adaptionen hätte mehr Tiefe der Geschichte gutgetan.

Pacing: Der ewige Kampf zwischen Atmosphäre und Handlung

Das Tempo ist unrund. Lange Passagen, in denen Aureen in ihrem goldenen Käfig grübelt und sich die Welt erklärt. Das baut zwar Atmosphäre auf, aber irgendwann denkt man: "Okay, und jetzt? Passiert noch was?"

Dann kommt plötzlich Krieg und Verrat aus dem Nichts - als hätte jemand gemerkt, dass man noch eine Handlung braucht. Die Übergänge sind holprig, die Wendungen wirken teilweise forciert.

Was das für uns Content Creator bedeutet

"The Darkest Gold" ist ein perfektes Beispiel dafür, warum Mythologie-Adaptionen so schwer sind. Die ursprünglichen Geschichten sind meist kurz und symbolisch - sie in einen modernen Roman zu verwandeln, bedeutet massives Padding. Und genau da liegt die Kunst.

Kennedy gelingt die psychologische Vertiefung gut, aber beim Worldbuilding und Pacing hapert's. Als Autoren können wir daraus lernen: Eine starke Prämisse reicht nicht, wenn die Ausführung nicht stimmt.

Mein Fazit: Solide, aber mit ungenutztem Potenzial

3,5 von 5 Sternen. "The Darkest Gold" ist kein Meisterwerk, aber auch kein Totalausfall. Wer auf dunkle Fantasy-Romance steht und komplizierte Beziehungsdynamiken mag, wird seinen Spaß haben. Wer sich episches Worldbuilding erhofft, sollte woanders suchen.

Kennedy hat das Zeug dazu, aber die Folgebände müssen zeigen, ob sie ihre Welt wirklich ausbauen kann. Die Grundlage ist da - jetzt muss sie nur noch liefern.

Was haltet ihr von Mythologie-Adaptionen? Welche haben euch überzeugt, welche sind komplett gefloppt? Lasst es mich in den Kommentaren wissen!

P.S.: Falls ihr selbst an Fantasy-Projekten arbeitet, hier ein Tipp aus der Lektorats-Praxis: Starke Charakterdynamik ist wichtig, aber vernachlässigt nicht das Worldbuilding. Eure Leser wollen sich in der Welt verlieren können - nicht nur in den Köpfen eurer Protagonisten.

Weiter
Weiter

Wenn Tropes problematisch werden: Wie wir als Buchblogger mit toxischen Dynamiken umgehen