Wenn Sylt zur Liebesfalle wird: Julia K. Rodeits "Inselglück" im Literatur-Check
Warum Wohlfühlliteratur mehr kann, als nur zu trösten – und wo ihre Grenzen liegen
Ich gestehe: Als Literaturmensch bin ich nicht gerade die Zielgruppe für Romance-Serien mit Insel-Setting. Trotzdem habe ich mich durch Julia K. Rodeits "Inselglück auf Sylt" gelesen – und dabei einiges über die Mechanik des Genres gelernt.
Das Setup: Bewährt, aber clever
Die Grundkonstellation könnte aus dem Romance-Lehrbuch stammen: Hanna, erfolgreiche Schneiderin, muss mit ihrem Jugendschwarm Tjark die Hochzeit ihrer Eltern organisieren. Ja, richtig gelesen – ihre Mutter heiratet seinen Vater. Das ist dramaturgisch geschickt eingefädelt und schafft den perfekten Rahmen für Konflikt und Nähe zugleich.
Was Rodeit hier macht, ist handwerklich sauber: Sie nutzt äußere Umstände, um ihre Protagonisten zusammenzubringen, ohne dass es forciert wirkt. Die Hochzeitsplanung als gemeinsame Aufgabe ist ein klassischer "forced proximity"-Trope, aber er funktioniert, weil er organisch aus der Geschichte herauswächst.
Hanna: Mehr als nur Liebesinteresse
Hier zeigt sich, wo moderne Romance-Literatur ihren Vorgängerinnen überlegen ist. Hanna ist nicht die wartende Prinzessin, die auf Rettung hofft. Sie hat einen Beruf, den sie liebt, Probleme mit ihrem Chef Liam, ein eigenes Leben. Diese Nebenhandlungen geben der Geschichte Substanz und machen Hanna zu einer Figur, die über ihre Funktion als Love Interest hinausgeht.
Das ist wichtiger, als man auf den ersten Blick denkt. Viele Romance-Romane scheitern daran, dass ihre Heldinnen nur in Bezug auf den männlichen Protagonisten existieren. Rodeit vermeidet diese Falle geschickt.
Sylt als Kulisse: Schön, aber steril
Hier liegt mein größter Kritikpunkt. Sylt wird in diesem Roman mehr als Instagram-Filter denn als lebendiger Ort behandelt. Die Insel ist malerisch, aber seltsam leblos – mehr Postkarte als Realität.
Als jemand, der schon oft auf Sylt war, vermisse ich das Kratzen des Nordseewinde, den Geruch von Tang, die Melancholie der Wintermonate. Stattdessen bekommen wir eine polierte Version der Insel, die zwar hübsch anzusehen ist, aber wenig Charakter hat. Das ist schade, denn ein authentisches Setting könnte der Geschichte zusätzliche Tiefe verleihen.
Die Grenzen des Genres
"Inselglück auf Sylt" macht genau das, was Wohlfühlliteratur machen soll: Es entspannt, es unterhält, es gibt einem das sichere Gefühl, dass am Ende alles gut wird. Aber genau hier zeigen sich auch die Grenzen des Genres.
Die "peinliche Vorgeschichte" zwischen Hanna und Tjark bleibt angenehm harmlos. Echte Konflikte werden schnell geglättet, tieferliegende Probleme elegant umschifft. Das ist nicht per se schlecht – manchmal braucht man Bücher, die einen nicht herausfordern. Aber es macht den Roman auch vorhersehbar.
Was Romance-Literatur kann (und sollte)
Hier wird ein häufiges Missverständnis deutlich: Wohlfühlliteratur muss nicht oberflächlich sein. Die besten Romance-Romane schaffen es, emotionale Tiefe mit Unterhaltung zu verbinden. Sie behandeln ernste Themen – Selbstwert, familiäre Konflikte, berufliche Herausforderungen – ohne dabei ihre Leichtigkeit zu verlieren.
Rodeit gelingt das teilweise. Hannas Konflikt mit ihrem Chef, ihre Unsicherheiten bezüglich der Vergangenheit mit Tjark – das sind echte Themen. Sie werden nur etwas zu schnell und zu glatt aufgelöst.
Mein Fazit als Literaturmensch
"Inselglück auf Sylt" ist handwerklich solide Unterhaltungsliteratur. Rodeit versteht ihr Genre und bedient es professionell. Der Roman macht, was er verspricht, auch wenn er mich nicht überrascht hat.
Für Genre-Fans ist das ein klarer Kauftipp. Für alle anderen: Wenn ihr Lust auf eine Geschichte habt, bei der ihr abschalten könnt und genau wisst, dass am Ende alles gut wird, liegt ihr hier richtig. Manchmal ist das genau das, was man braucht.
4 von 5 Sternen – ein Wohlfühlroman, der funktioniert, auch wenn er seine Möglichkeiten nicht voll ausschöpft.
Was denkst du über Wohlfühlliteratur? Ist sie unterschätzt oder zu vorhersehbar? Lass es mich in den Kommentaren wissen!