Fortsetzungen, die nicht an den ersten Teil heranreichen – und warum das normal ist

Kennt ihr das? Ihr lest die letzte Seite eines Romans, klappt das Buch zu und sitzt einen Moment lang überwältigt da. Die Geschichte hat euch berührt, die Charaktere sind euch ans Herz gewachsen, und ihr wünscht euch, die Reise würde nie enden. Dann, ein Jahr später, erscheint endlich der zweite Band – und schon nach wenigen Kapiteln schleicht sich eine leise Enttäuschung ein. Es fühlt sich anders an. Weniger magisch. Weniger überwältigend.

Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut. Als begeisterte Leserin habe ich unzählige literarische Fortsetzungen verschlungen, die mich eher ratlos zurückließen. Nach dem brillanten Erstling "Der Name der Rose" von Umberto Eco konnte mich "Das Foucaultsche Pendel" trotz seiner Qualitäten nicht auf dieselbe Weise fesseln. Und ich bin nicht allein – das "Fortsetzungsproblem" hat in der Literaturwelt eine lange Tradition.

Meine literarischen Enttäuschungen

Die Liste meiner persönlichen Enttäuschungen füllt ganze Bücherregale: Nach der atmosphärischen Dichte von Donna Tartts "Die geheime Geschichte" empfand ich "Der Distelfink" trotz des Pulitzer-Preises als weniger zwingend. Carlos Ruiz Zafóns "Der Schatten des Windes" verzauberte mich – die Fortsetzungen der "Friedhof der vergessenen Bücher"-Reihe konnten diesen Zauber nicht vollständig bewahren.

Besonders deutlich wird das Phänomen bei Krimiserien: Der erste Fall eines Ermittlers überrascht mit frischer Perspektive und origineller Figurenzeichnung. Beim zwanzigsten Band weiß ich schon, dass der Kommissar trinkt, Jazz hört und Beziehungsprobleme hat – die Überraschung ist verflogen.

Warum literarische Fortsetzungen es so schwer haben

Die erste Begegnung mit einem literarischen Universum ist einzigartig

Als ich zum ersten Mal Terry Pratchetts Scheibenwelt betrat, war jede Seite eine Entdeckung. Die skurrilen Figuren, die aberwitzige Logik dieser Welt, die liebevollen Details – all das konnte ich zum ersten Mal nur einmal erleben. Bei "Wahre Helden" (dem 37. Scheibenwelt-Roman!) wusste ich bereits, wie diese Welt funktioniert. Das Staunen, dieses grandiose erste literarische Rendezvous, lässt sich beim besten Willen nicht reproduzieren.

Wir messen mit überhöhten Maßstäben

Nach einem Roman, der mich tagelang nicht losgelassen hat, setze ich unbewusst die Messlatte für den Nachfolger ins Unerreichbare. Ich vergleiche jede Passage mit meinen ins Überdimensionale gewachsenen Erinnerungen an den ersten Band. "Die Tribute von Panem" hat mich umgehauen – und plötzlich erscheint "Gefährliche Liebe" nur noch "gut", nicht mehr "bahnbrechend".

Vom Herzblut zum Vertragswerk?

Bei vielen Romanreihen frage ich mich: Wurde dieser Folgeband aus innerem Antrieb geschrieben – oder weil der Verlag nach dem Bestseller-Erfolg drängte? Wenn George R.R. Martin plötzlich für "Das Lied von Eis und Feuer" einen Millionenvorschuss erhält, ändert das vielleicht die künstlerische Freiheit. Der Druck, die Erwartungen zu erfüllen, kann die ursprüngliche Intention überlagern.

Die Geschichte hatte ihren perfekten Schluss

Viele große Romane erzählen ihre Geschichte zu einem natürlichen Ende. Als Michael Ende "Die unendliche Geschichte" beendete, war Bastians Reise vollendet. Jeder Versuch (und es gab viele), diese Geschichte fortzusetzen, musste zwangsläufig diesen perfekt komponierten Abschluss aufbrechen – was oft in literarischen Verrenkungen resultiert.

Glanzvolle Ausnahmen im Bücherregal

Doch es gibt sie, diese literarischen Fortsetzungen, die glänzen. Als ich Hilary Mantels "Wölfe" las und dann zu "Falken" griff, erlebte ich eine Fortsetzung, die das Niveau nicht nur hielt, sondern steigerte. Auch Margaret Atwoods "Die Zeuginnen", die Fortsetzung von "Der Report der Magd" nach 34 Jahren, funktioniert brillant als eigenständiges Werk.

Was machen diese Fortsetzungen richtig? Sie wiederholen nicht einfach die Erfolgsformel des ersten Bandes, sondern wagen Neues. Sie respektieren ihre Figuren, zwingen sie aber in neue Situationen und Entwicklungen. Und vor allem: Sie entstehen aus einem echten erzählerischen Bedürfnis, nicht aus kommerziellen Erwägungen.

Liegt es an meiner Lesebiografie?

Manchmal frage ich mich, ob die Enttäuschung nicht auch mit meiner eigenen Entwicklung zu tun hat. "Harry Potter und der Stein der Weisen" verschlang ich als junge Erwachsene und war verzaubert. Bei "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" war ich sieben Jahre älter, hatte hunderte weitere Fantasybücher gelesen und blickte mit anderen Augen auf die Magie. Vielleicht lag es weniger am Buch als an mir selbst?

Warum ich trotzdem jeden Folgeband kaufe

Trotz aller Enttäuschungen stehe ich bei jedem neuen Band einer geliebten Reihe am Erscheinungstag in der Buchhandlung. Warum? Weil ich diese literarischen Figuren vermisse wie alte Freunde. Weil ich wissen will, wie es weitergeht. Es ist wie ein Wiedersehen – selbst wenn das Gespräch nicht mehr so funkelnd ist wie beim ersten Treffen.

Bei Tana Frenchs Dublin-Murder-Squad-Reihe weiß ich mittlerweile, dass jeder Band seine eigene Qualität hat. Manchmal werden meine Erwartungen übertroffen ("Der Sucher"), manchmal bin ich leicht enttäuscht ("Gefrorener Schrei") – aber immer finde ich etwas Wertvolles in ihren Büchern.

Was ich für meine Lesefreude gelernt habe

Mit den Jahren habe ich meine Lesehaltung verändert. Statt "Die Fortsetzung muss genauso gut sein!" nehme ich Folgebände jetzt als eigenständige Werke wahr, die mit dem Original in Dialog treten, aber nicht identisch sein müssen.

Ich versuche, mit frischem Blick zu lesen und nicht ständig zu vergleichen. Manchmal entdecke ich dadurch Qualitäten, die ich sonst übersehen hätte. Und manchmal – in diesen seltenen, kostbaren Momenten – halte ich einen Folgeband in Händen, der mich noch mehr berührt als der erste.

Bis dahin genieße ich auch die weniger brillanten Fortsetzungen für das, was sie sind: eine Möglichkeit, noch ein wenig länger in literarischen Welten zu verweilen, die mir ans Herz gewachsen sind. Schließlich ist selbst eine mittelmäßige Rückkehr nach Hogwarts, Mittelerde oder Westeros besser als gar keine. Und wer weiß – vielleicht wird der nächste Band ja tatsächlich zum Meisterwerk? Die literarische Hoffnung stirbt zuletzt – genau wie meine Bereitschaft, den siebten Band einer Trilogie zu kaufen!

Zurück
Zurück

Fourth Wing von Rebecca Yarros: Ein Reread, der sich gelohnt hat

Weiter
Weiter

Nordische Magie: A Fate Inked in Blood - Ein Fantasy-Highlight (Rezensionsexemplar)