Wenn Welten stimmen, aber Charaktere schwächeln: Gedanken zu "Meeresglühen" und dem Romantasy-Dilemma
Manchmal lese ich ein Buch und denke mir: "Hier war jemand am Werk, der wirklich etwas erschaffen wollte." So ging es mir mit Anna Flecks "Meeresglühen". Die Autorin hat sich sichtbar Mühe gegeben, eine faszinierende Welt zu bauen. Cornwall trifft auf mystische Unterwasserwelten, Sturm und Brandung werden zum Portal zwischen Realitäten. Das Worldbuilding? Funktioniert tadellos.
Und trotzdem bin ich frustriert aus der Lektüre gegangen.
Das Problem mit jungen Erwachsenen, die keine sind
Ella und Aris sollen junge Erwachsene sein, benehmen sich aber wie Teenager. Das ist kein neues Problem in der Romantasy, aber hier fiel es mir besonders auf. Wenn ich eine Protagonistin lese, die theoretisch alt genug ist für komplexe emotionale Entscheidungen, erwarte ich auch eine gewisse Reife. Nicht perfekt, nicht fehlerlos, aber authentisch für ihr Alter.
Stattdessen stolperte ich über Dialoge und Entscheidungen, die mich an meine eigene Schulzeit erinnerten. Das mag für jugendliche Leser funktionieren, aber als erwachsene Leserin fühlte ich mich fehl am Platz. Romantasy lebt von der emotionalen Verbindung zu den Charakteren. Wenn die nicht stimmt, kann das beste Worldbuilding nicht darüber hinwegtäuschen.
Logikbrüche: Der stille Killer guter Geschichten
Was mich noch mehr gestört hat, waren die Plotlöcher. Mehrfach passierte etwas, und ich dachte: "Warte, wie sind wir hier gelandet?" Charaktere treffen plötzlich Entscheidungen, ohne dass klar wird, was sie dazu gebracht hat. Wichtige Wendungen fallen vom Himmel, statt aus der Geschichte zu erwachsen.
Das ist besonders schade, weil Fleck offensichtlich eine durchdachte Welt erschaffen hat. Aber eine schöne Kulisse reicht nicht, wenn die Handlung darauf nicht schlüssig funktioniert. Als Lektor kenne ich das Problem: Autoren sind so verliebt in ihre Welt, dass sie vergessen, die Geschichte logisch zu konstruieren.
Warum ich trotzdem hoffnungsvoll bin
Klingt jetzt alles sehr negativ? Ist es aber nicht. "Meeresglühen" zeigt, dass Anna Fleck das Handwerk grundsätzlich beherrscht. Das Buch liest sich flott, die Atmosphäre stimmt, und man merkt: Hier schreibt jemand mit Leidenschaft.
Als erster Band einer Trilogie hat sie noch Raum, an den Schwächen zu arbeiten. Charakterentwicklung kann sich über mehrere Bände erstrecken, und auch Plotlogik lässt sich in Fortsetzungen verbessern. Die Grundlage ist da.
Was andere Autoren daraus lernen können
Falls du selbst schreibst, nimm dir das zu Herzen: Worldbuilding ist wichtig, aber Charaktere sind das Herz deiner Geschichte. Investiere genauso viel Zeit in ihre emotionale Entwicklung wie in die Erschaffung deiner Welt. Und teste deine Plotwendungen: Ergeben sie sich logisch aus dem, was vorher passiert ist?
"Meeresglühen" bekommt von mir 3 von 5 Sternen. Nicht weil es schlecht ist, sondern weil es das Potenzial hat, viel besser zu sein. Und manchmal ist das die frustrierendste Art von Buch: Eines, das man gerne geliebt hätte.
Habt ihr ähnliche Erfahrungen mit Romantasy gemacht? Was ist euch wichtiger: eine perfekte Welt oder perfekte Charaktere? Schreibt es in die Kommentare.